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Schriftenreihe der IVH - Heft 1

Zu den bergmännischen Aktivitäten der Röchlings in Lothringen

Joachim Koch

(Auszug - es gibt eine Neuauflage)

 

Die Quelle

 

Die Familie Röchling hatte nach der Abtretung Elsass – Lothringens durch Frankreich, wie viele deutsche Montanunternehmen auch, lothringische Erzfelder erworben. Über die damit verbundenen Aktivitäten berichtet nur ein Kapitel im „Nutzinger" (Nutzinger u.a. „50 Jahre Röchling Völklingen", Gebrüder Hofer AG, Saarbrücken-Völklingen 1931, Seite 200 – 210), dem Hauptwerk zur Geschichte der Völklinger Hütte.

„Ende des ersten Weltkrieges besaß die Völklinger Hütte Abbaurechte (Bergwerkseigentum) an Minettefeldern im lothringischen Erzbecken in der Nähe von Diedenhofen (heute Thionville). Nach dem 1. Weltkrieg wurden diese Felder enteignet."

 

Soweit die lapidare Information, die uns, den Mitgliedern der Initiative Völklinger Hütte, bislang bekannt war.

 

Der Auslöser

 

Ein etwas ungewöhnlicher Ortsnamen war dann Auslöser für ein spannendes Projekt, in dessen Rahmen wir umfangreiche neue Kenntnisse über die bergmännischen Aktivitäten der Familie Röchling in Lothringen erwarben.

 

Der Beginn unserer Untersuchungen war jedoch ein einziger Hindernislauf. Ortsbezeichnungen aus dem „Nutzinger" waren „französisiert", einige noch zu rekonstruieren. Andere Ortsbezeichnungen waren im Zuge von Gebietsreformen und Eingemeindungen auf den aktuellen Karten verschwunden. Messtischblätter waren fehlerhaft. Kurzum, das Labyrinth öffnete sich uns nur ganz langsam. Insbesondere stöberten wir nach und nach eine Fülle alter zeitgenössischer Quellen auf, ebenso Unterlagen in französischen Archiven. Die ursprünglich so lapidare Information wurde immer umfangreicher und damit auch informativer.

Die Suche vor Ort ist mittlerweile fast abgeschlossen. Der aktuelle Schwerpunkt unserer Tätigkeiten besteht nun darin, die umfangreichen französischen Quellen zu übersetzen und - auf Grund gemachter Erfahrungen - auf Plausibilität usw. zu prüfen. Dieser erste Band der Schriftenreihe enthält die ersten an Hand der aktuellen Quellenlage abgesicherten kurzgefassten Ergebnisse der Forschungsarbeiten.

 

Das Erz und die Geschichte

 

Im Rahmen des Vorfriedens von Versailles (Februar 1871), bestätigt durch den Frieden von Frankfurt a. M. (Mai 1871), tritt Frankreich das Elsass und Lothringen an das Deutsche Reich ab (= Reichsland Elsass-Lothringen).

 

(Quellen: linkes Bild Putzger „Historischer Weltatlas", Cornelsen Bielefeld 1991, rechtes Bild: Zeichnung Joachim Koch nach Lenz „Der Luxemburger Bergmann in seiner Arbeitswelt im lothringisch-luxemburgischen Minettegebiet", De Minettsdapp, Kultur am Süden, Luxemburg 1997)

 

Bild 1: Das Reichsland Elsass-Lothringen nach 1871 (links) und die lothringische Minette (rechts)

 

Die Grenzziehung wurde mehrfach korrigiert und zwar unter Berücksichtigung eines Zugriffs auf die Minette, einem oolithischen Eisenerz. Es entstand vor rund 150 Mio Jahren in dem „Jura" genannten Erdzeitalter. Die Lothringische Minette ist die größte bekannte zusammenhängende Lagerstätte von bis in die 60er Jahre bauwürdigen Eisenerzen auf der Welt. Aufgrund des relativ geringen Eisengehaltes der Minette (28 - 41%) ist man jedoch in den Eisenhütten zwischenzeitlich zu reicheren Eisenerzen Hämatit (~70%) sowie Magnetit (~72%) übergegangen und hat deshalb den Abbau der Minette aufgegeben.

 

Ein Gesetz zeigt Wirkung

 

Nach der Bildung des „Reichslandes Elsass-Lothringen" begannen rege Aktivitäten deutscher Industrieunternehmen beim Erwerb von Minettefeldern, was vor allem durch die Ausweitung des Geltungsbereiches für das „Allgemeine Preußische Berggesetz von 1865 (ABG)" problemlos wurde. Entsprechend dem bis dato gültigen französischen Berggesetz von 1810 wurde bislang die Vergabe von Abbaukonzessionen eher restriktiv und mit einer Fülle von Auflagen gehandhabt (Nachweis über das Vorhandensein ausreichenden Kapitals für die Aufnahme des Betriebes und die Abgeltung der Ansprüche des Grundeigentümers, Verpflichtung zur Aufnahme des Bergwerksbetriebes mit Androhung eines Verlustes der Abbaukonzession).

Das ABG kennt keine derartigen Auflagen. Wurden bei der „Mutung" (= Antragstellung auf Erteilung des Rechtes zum Abbau eines Minerals) die erforderlichen Formvorschriften eingehalten, wurde das „Bergwerkseigentum" (= Recht zum Abbau des gemuteten Minerals) verliehen. Eine Betriebsaufnahme war nicht vorgeschrieben, die Mutung konnte daher auch aus rein spekulativen Zielen erfolgen. In Folge dieser geänderten Rechtslage stieg die Anzahl der verliehenen und betriebenen Erzbergwerke im Minettebezirk sprunghaft an (1872: verliehen 20 Erzfelder, davon in Betrieb 7; 1882: verliehen 230 Erzfelder, davon in Betrieb 18; 1892: verliehen 239 Erzfelder, in Betrieb 27;1902: verliehen 244 Erzfelder, in Betrieb 42).

 

Auftritt: Die Röchlings

 

Die im Jahre 1873 von Julius Buch gegründete „Völklinger Eisenhütte, Aktiengesellschaft für Eisenindustrie" ging im Jahr 1879 wegen gravierender weltwirtschaftlicher Veränderungen auf dem damaligen Stahlmarkt in Konkurs. Im Juni 1881 wurde dann die Hütte mitsamt ihren in Lothringen gelegenen Erzfeldern von der Firma Gebrüder Haldy in Saarbrücken zur Absicherung einer Hypothek ersteigert. Carl Röchling, der eine Reihe von Unternehmen als Teilhaber mit den Gebrüdern Haldy betrieb und somit engste Geschäftsbeziehungen mit ihnen unterhielt, erwarb dann im August 1881 handstreichartig das Hüttenwerk, allerdings ohne die zugehörigen Erzfelder, da man sich über den Preis nicht einigen konnte.

 

Ihm wurde ein Vorkaufsrecht eingeräumt, von dem er aber keinen Gebrauch machte, denn der Lagerstättenvorrat dieser Felder entsprach nicht seinen Vorstellungen.

 

Die Gründung

 

Carl Röchling war zu diesem Zeitpunkt bereits Eigentümer des Feldes „Langenberg" bei Volmeringen mit einer Fläche von rd. 138 ha, das am 30.7. 1873 an die Gebrüder Röchling verliehen wurde. Ab 1883 erwarb Carl Röchling weitere Erzfelder in der Nähe von Algringen (heute Algrange), erweiterte in den folgenden Jahren systematisch durch Zukauf und Feldestausch sein dortiges Bergwerkseigentum (Abbaurechte) und besaß 1897 Abbaurechte mit einer Gesamtfläche von rd. 1350 ha.

 

(Zeichnung Joachim Koch nach Nutzinger u.a. „50 Jahre Röchling Völklingen")

 

Bild 2: Die Röchlingschen Minettefelder bei Algringen (heute „Algrange") ab 1883

Der Abbau begann im südöstlichen Teil des Feldes Bergwerks Gewerkschaft Röchling Algringen durch den Aufschluss der später so benannten Grube Wilhelm. Diese Grube war ein reiner Stollenbetrieb.

 

(Quelle: Saarbrücker Bergmannkalender 1910)

 

Bild 3: Mundloch des Hauptförderstollens der GrubeWilhelm um 1909

 

Das modernste Bergwerk in der Minette

 

Aus geologischen Gründen war die Erweiterung der Bergwerksbetriebs in nördlicher Richtung problematisch. Die Lagerstätte war nach Norden geneigt und tauchte etwa auf Höhe der Ortschaft Arsweiler (heute Angevillers) unter das Niveau der vorhandenen Stollensohle.

 

Carl Röchling hatte bereits im Jahre 1889 mit den Vorbereitungen zum Bau der Carlshütte in Diedenhofen (heute Thionville) begonnen und dazu Grundstücke erworben.

1897 fand der erste Spatenstich statt und 1898 ging dort der erste Hochofen in Betrieb. Da die Carlshütte aus den Algringer Feldern mit Erz versorgt werden sollte, kam noch ein infrastrukturelles Problem hinzu. Die Grube Röchling war rd. 8 km und das Feld Röchling I (siehe Bild 2) rd. 15 km von der Carlshütte entfernt. Der Erztransport mit der Staatsbahn ab Algringen (heute „Algrange") wäre wegen der hohen und mengenunabhängigen Abfertigungskosten sehr teuer geworden.

 

Sowohl in dem heute zum Weltkulturerbe gehörenden Völklinger Hüttenwerk als auch bei Errichtung ihres Schwesterwerkes, der Carlshütte im damaligen Diedenhofen nutzte man die zu dieser Zeit bekannten innovativen technischen Lösungen. Nicht umsonst war das Völklinger Hüttenwerk 1890 der größte Produzent gewalzter Stahlträger im damaligen Kaiserreich. Es lag also auf der Hand, zur Lösung der bergtechnischen Probleme innovative Wege zu beschreiten. So plante man die Auffahrung eines neuen Stollens, der möglichst nahe an der Mosel liegen und möglichst tief angesetzt werden sollte, um auf diese Weise beide Felder (Röchling und Röchling I) aufzuschließen. Dabei sollte das Minettelager möglichst unterfahren, ein Förderstandort für beide Felder und eine einfache Ableitung des zulaufenden Wassers geschaffen werden.

Der neue Stollen, der den Namen „Carlstollen" erhielt, wurde 1896 bei Metzingen (heute Metzange) angehauen.

 

(Zeichnung Joachim Koch nach Nutzinger u.a. „50 Jahre Röchling Völklingen")

Bild 4: Der projektierte Verlauf des Carlstollens im Bereich der beiden Felder

 

(Zeichnung Joachim Koch nach Nutzinger u.a. „50 Jahre Röchling Völklingen")

Bild 5: Schnitt durch das Feld Gewerkschaft Röchling

 

Die Gesamtlänge des Stollens vom Mundloch bis zum geplanten Ende im Feld Röchling I sollte etwa 10 600 m betragen.

Zur Erleichterung der Auffahrungsarbeiten im Carlstollen hatte man 1897 den Pensbrunnenschacht abgeteuft. Im Jahre 1905 erreichte der bei Arsweiler (heute Angevillers) angehauene Hermannschachtes in einer Teufe von 197 m den Carlstollen.

 

(Quelle: Saarbrücker Bergmannkalender 1910)

Bild 6: Die Tagesanlagen am Hermannschacht um 1909

 

Pensbrunnen- und Hermannschacht waren keine Förderschächte. Sie dienten in der Hauptsache zur Ableitung der verbrauchten Atemluft aus dem Bergwerk. Am Hermannschacht fand zusätzlich noch die Ein- und Ausfahrt der im seinem Umfeld unter Tage arbeitenden Bergleute statt.

1914 stand der Carlstollen 24 m vor der westlichen Markscheide (Feldesgrenze) des Feldes Röchling.

 

(Zeichnung Joachim Koch nach Nutzinger u.a. „50 Jahre Röchling Völklingen")

Bild 7: Abbau der Röchlingschen Minettefelder bei Algringen (heute „Algrange") um 1914

 

1898 hatte die Saarbrücker Firma Heckel mit der Lieferung einer Anlage zur Hauptstreckenförderung mit Förderwagen am endlosen Seil im Carlstollen begonnen. Die Seilbahnanlage war in dieser Form und der vorläufigen Endlänge von rund 4 640 m (Stand 1902) für die damaligen Verhältnisse eine Pionierleistung, denn derartige Anlagen mit dieser Länge gab es noch nicht.

Zudem war sie die erste Anlage dieser Art im Minettebezirk und auf Grund ihres Zuschnittes laut zeitgenössischer Literatur später bei Vollbetrieb mit Abstand die wirtschaftlichste Anlage im deutschen Bergbau.

 

(Quelle: Saarbrücker Bergmannkalender 1910)

Bild 8: Das Mundloch des Carlstollens um 1909

 

Der Transport des Erzes zur Carlshütte erfolgte dann mit Selbstentleerern von 50 t Fassungsvermögen auf einer eigenen Bahntrasse von etwa 6 km Länge

 

Die Geschichte von 1918 bis zur Stilllegung

 

Nach der Enteignung des Bergwerks bei Algringen (heute „Algrange") nach dem 1. Weltkrieg wechselte es bis zu Beginn des 2. Weltkrieges mehrfach den Betreiber/Eigentümer, stand dann von Juli 1940 – September 1944 unter deutscher Verwaltung. Nach Abzug der deutschen Besatzung nahm das Bergwerk unter französischer Leitung den Betrieb wieder auf.

Der Untertagebetrieb wurde dann entsprechend einer aus den USA übernommenen Technologie modernisiert, wozu auch ein Umbau der Förderanlage im weiterhin betriebenen Carlstollen gehörte. Ab 1967 begann man damit, das Bergwerk in Teilabschnitten stillzulegen, die endgültige Schließung erfolgte dann im August 1979.

 

Die Forschungsarbeiten der IVH

 

Nachdem wir den Carlstollen nach langwierigen Quellenrecherchen gefunden hatten fokussierte die Forschungsgruppe der Initiative ihre Suche nach den anderen Tagesanlagen der Röchlingschen Bergwerke. Hierbei stellte sich heraus, dass nahezu alle diese Tagesanlagen noch vorhanden sind. Ein weiterer Fokus der Forschungen ist die Erkundung des technischen Fortschritts im Bergbau zur Wende vom 19 zum 20. Jahrhundert, wobei die untertägigen Anlagen der Röchlingschen Grube besondere Berücksichtigung finden.

Damit steht in der Schriftenreihe der Initiative Völklinger Hütte zum ersten Mal eine klar fassliche und vollständige Aufarbeitung dieses Themas einem breiten Publikum zur Verfügung.

Der erste Band der Schriftenreihe behandelt die Gründung und die Entwicklung des Bergwerks bis 1918. In weiteren Bänden werden die Ergebnisse der Forschungsarbeiten zur weiteren Entwicklung des Bergwerks sowie die Entwicklung des technischen Fortschritts im Bergbau zur damaligen Zeit dargestellt.

 

Autor: Joachim Koch

Copyright 2003: Initiative Völklinger Hütte e. V.
Das Zitieren aus dieser Dokumentation ist erwünscht und kostenfrei, als Quellenangabe sind die Initiative Völklinger Hütte e.V. und die Autoren zu nennen.